Entkopplung von Selbst und Schmerz: Schmerzlinderung durch Achtsamkeitsmeditation wird durch Entkopplung des Thalamus-Default-Modus-Netzwerks bewirkt
09.07.2022 Seit Jahrhunderten versuchen Menschen mit Hilfe von Achtsamkeitsmeditation, ihre Schmerzen zu lindern, aber Neurowissenschaftler konnten erst kürzlich prüfen, ob und wie dies tatsächlich funktioniert. In der neuesten Studie haben Forscher der University of California San Diego School of Medicine die Auswirkungen von Achtsamkeit auf die Schmerzwahrnehmung und die Gehirnaktivität gemessen.
Die in der Fachzeitschrift Pain veröffentlichten Studie zeigte, dass Achtsamkeitsmeditation die Kommunikation zwischen den Hirnarealen, die an der Schmerzempfindung beteiligt sind, und denen, die das Selbstgefühl erzeugen, unterbricht. Bei dem angenommenen Mechanismus werden die Schmerzsignale zwar immer noch vom Körper zum Gehirn weitergeleitet, aber der Betroffene fühlt sich nicht mehr so sehr als „Eigentümer“ dieser Schmerzempfindungen, so dass seine Schmerzen und sein Leiden geringer sind.
Einer der zentralen Grundsätze der Achtsamkeit ist das Prinzip, dass Sie nicht Ihre Erfahrungen sind, sagte der Hauptautor Dr. Fadel Zeidan von der UC San Diego School of Medicine. „Man trainiert sich selbst, Gedanken und Empfindungen zu erleben, ohne sein Ego oder sein Selbstgefühl mit ihnen zu verbinden, und wir sehen jetzt endlich, wie sich dies im Gehirn während der Erfahrung von akutem Schmerz auswirkt.“
Die Studie
Am ersten Tag der Studie wurden die Gehirne von 40 Teilnehmern gescannt, während ihnen schmerzhafte Hitze am Bein verabreicht wurde. Nachdem sie eine Reihe dieser Hitzereize erlebt hatten, mussten die Teilnehmer ihre durchschnittliche Schmerzstärke während des Experiments bewerten.
Die Teilnehmer wurden dann in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Mitglieder der Achtsamkeitsgruppe absolvierten vier separate 20-minütige Achtsamkeitssitzungen. Dabei sollten sie sich auf ihren Atem konzentrieren und die selbstbezogene Verarbeitung reduzieren, indem sie ihre Gedanken, Empfindungen und Gefühle zunächst zur Kenntnis nahmen, sie dann aber losließen, ohne sie zu bewerten oder auf sie zu reagieren. Die Mitglieder der Kontrollgruppe hörten während der vier Sitzungen ein Hörbuch.
Am letzten Tag der Studie wurde die Gehirnaktivität beider Gruppen erneut gemessen, wobei die Teilnehmer der Achtsamkeitsgruppe nun angewiesen wurden, während der schmerzhaften Hitze zu meditieren, während die Kontrollgruppe mit geschlossenen Augen ruhte.
Die Forscher fanden heraus, dass die aktiv meditierenden Teilnehmer eine 32-prozentige Verringerung der Schmerzintensität und eine 33-prozentige Verringerung des Schmerzempfindens angaben.
„Wir waren sehr erfreut, dass wir bestätigen konnten, dass man kein Meditationsexperte sein muss, um diese schmerzlindernde Wirkung zu erfahren“, so Zeidan. „Dies ist eine wirklich wichtige Erkenntnis für die Millionen von Menschen, die nach einer schnell wirkenden und nicht-pharmakologischen Behandlung von Schmerzen suchen.“
Was passiert dabei im Gehirn?
Bei der Analyse der Gehirnaktivität der Teilnehmer während der Aufgabe stellte das Team fest, dass die durch Achtsamkeit hervorgerufene Schmerzlinderung mit einer verringerten Synchronisation zwischen dem Thalamus (einem Hirnareal, das eingehende sensorische Informationen an den Rest des Gehirns weiterleitet) und Teilen des Standardmodus-Netzwerks (einer Ansammlung von Hirnarealen, die am aktivsten sind, wenn eine Person gedanklich abschweift oder ihre eigenen Gedanken und Gefühle im Gegensatz zur Außenwelt verarbeitet) verbunden war.
Eine dieser Default-Mode-Regionen ist der Precuneus, ein Hirnareal, das an grundlegenden Merkmalen der Selbstwahrnehmung beteiligt ist und zu den ersten Regionen gehört, die bei Bewusstlosigkeit offline gehen. Eine weitere Region ist der ventromediale präfrontale Kortex, der mehrere Unterregionen umfasst, die zusammenarbeiten, um die Beziehung zwischen uns und unseren Erfahrungen zu verarbeiten und diese zu bewerten. Je mehr diese Bereiche entkoppelt oder deaktiviert wurden, desto mehr Schmerzlinderung berichteten die Teilnehmer.
Psychische Leiden und Frustration
„Für viele Menschen, die mit chronischen Schmerzen zu kämpfen haben, ist das, was ihre Lebensqualität am meisten beeinträchtigt, nicht der Schmerz selbst, sondern das psychische Leiden und die Frustration, die mit ihm einhergehen“, so Zeidan. „Ihre Schmerzen werden zu einem Teil ihrer Persönlichkeit – etwas, dem sie nicht entkommen können – und das verschlimmert ihr Leiden.“
Indem die Achtsamkeitsmeditation die selbstbezogene Bewertung des Schmerzes aufgibt, könnte sie eine neue Methode zur Schmerzbehandlung darstellen. Achtsamkeitsmeditation ist außerdem kostenlos und kann überall praktiziert werden. Dennoch hofft Zeidan, dass die Schulungen noch zugänglicher gemacht und in die ambulanten Standardverfahren integriert werden können.
© Psylex.de – Quellenangabe: Pain (2022). DOI: 10.1097/j.pain.0000000000002731