Beeinträchtigtes verbales Gedächtnis erhöht Risiko einer Psychiatrie-Einweisung

Zusammenhang zwischen neurokognitiven Funktionen, psychiatrischen Krankenhausaufenthalten und soziodemografischen Bedingungen bei Personen mit bipolaren und schweren depressiven Störungen

Beeinträchtigtes verbales Gedächtnis erhöht Risiko einer Psychiatrie-Einweisung

05.05.2023 Das Gedächtnis spielt eine entscheidende Rolle im sozialen und beruflichen Leben. Neue Forschungsergebnisse zeigen nun, dass das verbale (d. h. sprachliche) Gedächtnis auch darüber entscheidet, ob psychiatrische Patienten mit einer bipolaren Störung oder Depression Gefahr laufen, in ein Krankenhaus oder wieder in eine psychiatrische Abteilung eingewiesen zu werden.

„Es ist seit langem bekannt, dass Patienten, die zuvor mit einer schweren Depression oder einer bipolaren Störung in ein Krankenhaus eingewiesen wurden, häufig ein schlechteres Gedächtnis haben. Es wurde jedoch angenommen, dass die Schwere der Erkrankung selbst eine Rolle bei der Gedächtnisschwäche spielt. Jetzt sehen wir, dass der Zeiger auch in die andere Richtung weist“, sagt Kamilla Miskowiak, Professorin an der Fakultät für Psychologie der Universität Kopenhagen.

In der neuen Studie verfolgte Miskowiak in enger Zusammenarbeit mit der leitenden Forscherin Anjali Sankar und einer Reihe anderer Forscher der Neurobiologischen Forschungseinheit am Rigshospitalet und der UCPH 518 Patienten über mehrere Jahre hinweg, die alle zuvor in anderen Studien denselben kognitiven Tests unterzogen worden waren.

Zusammen mit den Daten des dänischen Statistischen Amtes haben die Forscher die früheren Studien genutzt, um herauszufinden, inwieweit das verbale Gedächtnis und die sogenannten exekutiven Funktionen der Patienten (wie die Fähigkeit zu planen und Probleme zu lösen) das Risiko einer Einweisung in eine psychiatrische Station beeinflussen.

Die Schlussfolgerung ist eindeutig: „Ein schlechtes verbales Gedächtnis an sich erhöht das Risiko einer psychiatrischen Krankenhauseinweisung. Dies wird deutlich, wenn wir frühere Krankenhausaufenthalte, den Schweregrad der Erkrankung, Depressionssymptome und andere Faktoren – von denen wir wissen, dass sie wichtig sind – berücksichtigen“, erklärt Miskowiak.

Fast doppelt so hohes Risiko einer Krankenhauseinweisung

Laut der in eClinicalMedicine veröffentlichten Studie ist das Risiko für eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik um etwa 84 Prozent erhöht, wenn zuvor eine klinisch signifikante Beeinträchtigung der Fähigkeit, verbale Informationen zu lernen und zu erinnern, aufgetreten ist.

Die Studie kann nicht mit Sicherheit sagen, warum diese Beeinträchtigung des verbalen Gedächtnisses das Risiko erhöht. Laut Miskowiak könnte es aber damit zusammenhängen, dass es den Patienten oft schwerer fällt, sich an ihre Medikamente zu erinnern und den Anforderungen des Alltags gerecht zu werden, was wiederum zu Stress führen kann.

„Wir wissen, dass Stress ein wichtiger Risikofaktor für einen Rückfall ist. Und viele Menschen mit psychischen Problemen kämpfen bereits damit, sich über Wasser zu halten. Wenn sie also dem zusätzlichen Stress einer Beeinträchtigung des verbalen Gedächtnisses ausgesetzt sind, kann dies das Risiko neuer schwerer Depressionen oder Manien erhöhen, die einen Krankenhausaufenthalt erfordern.“

Umgekehrt fand die Studie keinen signifikanten Zusammenhang zwischen beeinträchtigter Exekutivfunktion und erhöhtem Risiko einer Krankenhauseinweisung. Auch bei sozialen Parametern wie Beschäftigung, Zusammenleben und Familienstand scheinen Patienten mit beeinträchtigten kognitiven Funktionen nicht wesentlich schlechter abzuschneiden.

Die Forscher fanden jedoch heraus, dass eine schlechte Exekutivfunktion mit einer um 51 Prozent geringeren Wahrscheinlichkeit verbunden war, den höchsten Bildungsgrad (Fachhochschule und Universität) zu erreichen. Eine geringere Fähigkeit zur Planung und Umsetzung von Problemlösungsstrategien während des Studiums kann den Bildungserfolg beeinträchtigen und umgekehrt, sagt Miskowiak.

Forderung nach neuen Behandlungsmethoden

Vor allem aber ist es ein zentrales Faktum, dass ein schlechtes verbales Gedächtnis selbst das Risiko einer psychiatrischen Hospitalisierung bei Menschen mit psychischen Erkrankungen erhöht. Miskowiak zufolge bedeutet dies, dass Gedächtnisstörungen in der psychiatrischen Behandlung, die sich derzeit auf kognitive Fähigkeiten beschränkt, mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.

Es reicht nicht aus, nur die Symptome der Patienten zu behandeln, wie zum Beispiel Depressionen oder Manien. Wir müssen auch daran arbeiten, ihr Gedächtnis und andere kognitive Funktionen zu stärken, sobald sie symptomstabil sind, sagt sie.

„Etwa die Hälfte der Patienten mit rezidivierenden Depressionen oder bipolaren Störungen hat anhaltende Probleme mit dem Gedächtnis und anderen kognitiven Funktionen. Dies erfordert sowohl ein systematischeres kognitives Screening als auch neue Behandlungsansätze“.

© Psylex.de – Quellenangabe: eClinicalMedicine (2023). DOI: 10.1016/j.eclinm.2023.101927

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