Psychologie der Gewalt

News aus der Forschung zur Psychologie der Gewaltbereitschaft.

Die moderne Zivilisation hat den Menschen nicht weniger gewalttätig gemacht,
verglichen mit ‚primitiveren‘ Kulturen

31.10.2017 Die heutige Zivilisation dürfte nicht die Gewaltbereitschaft – den „Blutdurst“ – der Menschheit gedämpft haben, aber das Leben in einer großen, organisierten Gesellschaft kann die Wahrscheinlichkeit des Überlebens in einem Krieg erhöhen laut einem Anthropologieprofessor der Florida State Universität.

Dean Falk und Charles Hildebolt von der Washington University Medical School argumentieren in der Zeitschrift Current Anthropology, dass, während größere, moderne Gesellschaften zwar eine größere Zahl von getöteten Soldaten oder Kombattanten hervorbringen können, repräsentieren sie doch nur einen kleineren Prozentsatz der Gesamtbevölkerung.

Gewaltbereitschaft hat sich nicht verändert

krieg
Bild: ThePixelman (pixabay)

Zudem seien Menschen, die in modernen Nationen leben, nicht weniger gewalttätig als ihre Vorfahren oder Menschen, die derzeit in kleinen Jagd-, Sammel- und Hortikulturgesellschaften leben, sagte Falk. Das Gehirn, die Psyche hat sich in dieser Hinsicht nicht verändert.

Menschen, die in kleinen Gesellschaften leben, sind anfälliger dafür, dass ein bedeutender Teil ihrer Gemeinschaft im Krieg getötet wird als Menschen in großen Staaten, denn wie das alte Sprichwort sagt: „Zu mehreren ist man sicherer“, sagte Falk.

Menschen haben allerdings auch in allen Gesellschaftsformen nicht nur das Potenzial für Gewalt, sondern auch für Frieden, betonte er.

Effektivere Waffen

Falk und Hildebolt fanden heraus, dass die Todesfälle im Krieg sowohl für kleine als auch für moderne Zivilisationen mit zunehmender Bevölkerungszahl nach oben eskalieren. Dazu, so glauben sie, gehören auch Innovationen bei Waffen und militärischen Strategien, die mit dem modernen Leben verbunden sind.

Anstelle von Steinbeilen gibt es jetzt Kampfflugzeuge und anspruchsvollere Waffen.

Falk sagte, die Ergebnisse stellen die sozialpsychologischen Annahme in Frage, dass mit der Entwicklung von Nationen und modernen Gesellschaften Gewalt und Kriegstote abnehmen.

In dieser Studie analysierten Falk und Hildebolt Daten zu den Bevölkerungszahlen und den Tod durch Gruppenkonflikte in 11 Schimpansen-Gemeinschaften, 24 nicht-staatlichen Menschengemeinschaften, 19 Ländern, die im Ersten Weltkrieg kämpften und 22 Ländern, die im Zweiten Weltkrieg kämpften.

Gewalttätigkeit bei Schimpansen

Sie schlossen Schimpansen mit ein, sagte Falk, weil sie Individuen in anderen Gruppen angreifen und töten. Die Entdeckung, dass Schimpansen insgesamt weniger gewalttätig waren als Menschen, deutet nach Ansicht der Forscher darauf hin, dass Menschen im Vergleich zu Schimpansen schwerwiegendere Formen der Kriegsführung entwickelt haben.

Allerdings sank der durchschnittliche Prozentsatz der Todesfälle im Jahresdurchschnitt – ebenso wie bei den Menschen – mit zunehmender Bevölkerung.

Schließlich stellten Falk und Hildebolt fest, dass die Menschen in kleinen Gesellschaften nicht von Natur aus gewalttätiger sind als in „zivilisierten“ Staaten, und dass die Zahl der Kriegstoten auf allen Ebenen der menschlichen Gesellschaft im Verhältnis zur Bevölkerungszahl stehen.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Florida State Universität; Current Anthropology – doi.org/10.1086/694568; Okt. 2017

Gewalt in der Wohnumgebung und antisoziales Verhalten beim Nachwuchs

06.11.2017 Laut einer im Fachblatt Frontiers of Behavioral Neuroscience Research veröffentlichten Studie der Universität Basel zeigen Kinder und Jugendliche mit häufigen Gewalterfahrungen in ihrer Wohnumgebung mehr antisoziales Verhalten.

Die psychologische Studie analysierte die Daten von knapp 1.200 Personen im Alter zwischen neun und 18 Jahren aus sieben europäischen Ländern. Es wurden Kinder und Jugendliche mit und ohne Störung des Sozialverhaltens untersucht.

Dabei stellte sich heraus, dass häufige Gewalterfahrungen in der Wohnnachbarschaft (z.B. Schlägereien oder Bedrohungen – erlebt oder beobachtet) nicht nur Heranwachsende mit diagnostizierter Sozialverhaltensstörung antisozialer machen – im Vergleich zu Kindern, die keine häufigen Gewalterfahrungen machen mussten, sondern auch Heranwachsende ohne diagnostizierte Sozialverhaltensstörung ausgeprägtere antisoziale Tendenzen zeigten.

Sozialverhaltensstörungen ziehen oft Anmeldungen in kinder- und jugendpsychiatrischen Institutionen, Schulabbrüche, schlechte Berufsaussichten, kriminelles Verhalten und die Entwicklung von psychischen Störungen nach sich, schreiben die Psychologen und Psychiater.

„Wir können mit dieser Studie ausschliessen, dass die Verbindung zwischen Gewalterfahrungen und antisozialem Verhalten allein auf der Tatsache beruht, dass sich Jugendliche mit Störungen des Sozialverhaltens eher in Gegenden aufhalten, in der mehr Gewalt herrscht“, schließt Studienautorin Linda Kersten.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Basel; Frontiers of Behavioral Neuroscience Research – doi: 10.3389/fnbeh.2017.00219; Nov. 2017

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