Gibt es ein Depressionsgen? Gene als Ursache

Studie: Kein Depressionsgen entdeckt

29.01.2013 Eine große Studie – entworfen zur Aufdeckung der Gene, die mit Depression verbunden sind – lässt ein internationales Wissenschaftlerteam mit leeren Händen zurück.

Die Forschungsstudie analysierte die DNS von 34.549 Freiwilligen; 86 Wissenschaftler versuchten, die genetischen Einflüsse auf die Störung Depression genau zu lokalisieren.

Depressionsgen?
Gibt es ein Depressionsgen?

Kein Befund

„Ich bin enttäuscht“, sagte Studienmitautor Henning Tiemeier, M.D., Ph.D. vom Erasmus Medical Center in Rotterdam, Niederlanden. Der Mangel an Ergebnisse „sagt uns, dass wir sehr bescheiden sein müssen“, sagte er. „Aber wir denken, dass es möglich sein müßte einige Gene zu finden, die an depressiven Störungen beteiligt sind“.

Da Depressionen in bestimmten Familien häufiger vorkommen, glauben viele Experten, dass bestimmte Gene teilweise für die Störung verantwortlich sind. Aber Forschungen, die sich auf mit Depression diagnostizierte Personen fokussierten, konnten diese Gene nicht entdecken.

Untersuchung der Depressionssymptome

Die neue Studie konzentrierte sich einzig auf Depressionssymptome im Gegensatz zu früheren Studien, die sich mehr auf Diagnosen konzentrierten. Die Forscher führten die Ergebnisse von 17 Studien zusammen, in denen Freiwilligen derselbe Satz von 20 Fragen gegeben wurde. Diese Fragen sollten ihre emotionale Gesundheit zur Zeit der Fragestellung festhalten.

Personen mit vielen Depressionssymptomen erhielten hohe Punktestände, und Personen mit nur wenigen Symptomen erzielte wenige Punkte. Die Wissenschaftler argumentierten, dass, wenn man sich einen Bereich von Symptomen ansieht, statt eine Schwarz-Weiß-Depression Diagnose, wäre dies eine bessere Art, die mit Depression verbundenen Gene zu entdecken.

Keinerlei Zusammenhang zwischen Depressionssymptomen und Genen

Diese Methode war aber völlig erfolglos. Die Anfangsergebnisse zeigten keinen einzigen genetischen Faktor, der mit depressiven Symptomen verbunden war. Auch noch mehr Teilnehmer anderer Studien zu integrieren, die andere Depressionsmaße verwendeten, half nicht. Nach der Vergrößerung der Anzahl der Studienteilnehmer auf 51.258 zeigte nur eine Stelle des gesamten Genoms eine Verbindung mit depressiven Symptomen, aber diese Stelle lag nicht nahe genug bei irgendeinem Gen.

© PSYLEX.de – Quelle: Biological Psychiatry, Jan. 2013

Depression und die Gene – Stand der Forschung

08.01.2015 Selbst mit modernen genomweiten Analysemethoden erweist es sich als sehr schwierig, genetische Risikofaktoren für Depression zu identifizieren laut einem Bericht der Harvard Review of Psychiatry.

Genomweite Assoziationsstudien: kein Zusammenhang

Tatsache bleibt jedoch, dass die genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) der letzten Jahre zwar bei anderen psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie und bipolare Störung mehr als 100 genetische Varianten identifizierten, aber GWAS fanden bislang keine Verbindungen zwischen Depression und genetischen Faktoren.

Darüber hinaus konnten selbst zuvor in Erwägung gezogene zum Depressionsrisiko beitragende genetische Faktoren – wie Gene, die die Dopamin oder Serotonin-Neurotransmitter beeinflussen sollten – nicht bestätigt werden.

Mögliche Gen-Umgebungseffekte?

Eine andere Frage, die auch vorerst ungeklärt bleibt: Können Gene die Auswirkungen der Umwelt auf das Depressionsrisiko modifizieren (und umgekehrt)? Dazu bedarf es GxE(Gen-Umwelt-Interaktionen)-Studien.

Eine Studie aus dem Jahr 2003 z.B. schlug eine Interaktion zwischen einer Genvariante vor, die Serotonin und stressende Lebensereignisse beeinflusst (zum Beispiel bei Kindheitsmisshandlung).

Bisher haben diese Studien jedoch sehr widersprüchliche Ergebnisse hinsichtlich GxE erbracht: einige unterstützten sie, andere zeigten keinerlei Verbindungen mit der Serotoninvariante. Andere GxE-Studien legten dafür etwas ausgeglichenere Zusammenhänge mit anderen Genen nahe: z.B. Gene, die bei den Stressreaktionen involviert waren.

Entäuschende Befunde – größere Studien?

Alles in allem sind die zusammengestellten Studienbefunde mehr als enttäuschend und der Studienautor Erin C. Dunn und ihre Kollegen vom Massachusetts General Hospital hoffen, dass es durch größere Studien (mit mehr Teilnehmern) möglich sein wird, potentielle Genorte zu bestimmen.

Dunn glaubt, dass die Kombination von GWAS und GxE helfen kann, neue Einblicke zu bringen. „Groß angelegte GxE Studien könnten zu neuen Entdeckungen über die genetische Basis der Depression führen“, sagte sie.

© PSYLEX.de – Quellen: Massachusetts General Hospital, Harvard Review of Psychiatry; Jan. 2015

Wir berichteten bereits über andere sehr enttäuschte Wissenschaftler, die vergeblich das Depressionsgen (mit sehr vielen Teilnehmern) suchten (s.o.).

Gene verstärken psychologische Wirkung von Lebenserfahrungen – im Guten wie im Schlechten

23.09.2015 Das ‚Depressionsgen‘ beinhaltet einen Silberstreif am Horizont

Menschen mit einem bestimmten Gen-Typ sind von ihren Lebenserfahrungen viel stärker betroffen, sagt eine neue im British Journal of Psychiatry Open veröffentlichte Studie der University of Melbourne.

Warum einige besonders betroffen sind

Die Befunde sind eine Herausforderung für die traditionelle Sichtweise zur Depression; sie zeigen, dass was als ‚Risikogen‘ für Depression einerseits erachtet wird, kann in einem anderen Kontext als förderlich für die Lebensqualität gesehen werden.

Die Forscher unter Leitung von Dr. Chad Bousman wollten herausfinden, warum manche – aber nicht alle Erwachsenen, die sexuellen oder körperlichen Missbrauch als Kinder erfahren hatten, langfristige Depressionen entwickeln.

Serotonintransporter

Sie konzentrierten sich auf ein bestimmtes Gen eines Proteins – bekannt als SERT (Serotonintransporter), der die stimmungsregulierende Chemikalie Serotonin transportiert. Jeder Mensch hat einen von drei Typen des SERT-Gens:

  • lang-lang (l/l),
  • kurz-lang (k/l) oder
  • kurz-kurz (k/k).

Das Team testete 333 Personen mittleren Alters, deren Vorfahren aus Nord- und West-Europa stammten. Sie erfassten ihre depressiven Symptome jedes Jahr über 5 Jahre.

SERT kurz/kurz

Diejenigen mit dem k/k Genotypus (23%), die sexuellen oder physischen Missbrauch als Kind erfahren hatten, zeigten mit größerer Wahrscheinlichkeit schwere depressive Symptome im mittleren Lebensalter. Aber im Gegensatz dazu waren diejenigen mit demselben Genotyp, aber ohne Missbrauchserfahrungen, glücklicher als der Rest der Bevölkerung.

Das Gen könnte die Anfälligkeit einer Person für Depression signalisieren, besonders wenn sie Misshandlungerfahrungen machen mussten. Und es kann Ärzten helfen, Patienten zu identifizieren, die zusätzliche Hilfe brauchen, um sich von einer Depression zu erholen, sagten die Forscher.

„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass einige Menschen eine genetische Veranlagung haben, die sie für negative Umgebungen anfälliger macht; aber in einer stützenden Umgebung werden dieselben Menschen wahrscheinlich aufblühen“, sagte Dr. Bousman.

Gene bestimmen nicht das Schicksal

„Sie können nicht Ihren Genotypus ändern oder zurückgehen und Ihre Kindheit verändern, aber Sie können Maßnahmen ergreifen, um Ihre gegenwärtige Umgebung zu verändern“, sagte er.

Es bedeutet auch, dass Menschen mit diesem Risikogen nicht zu dauerhaften Depressionen verdammt sind.

Die Gene eines Menschen reichen nicht aus, um zu bestimmen, wie sie Depression erfahren könnten. Diese Forschungsbefunde zeigen uns, dass was als Risikogen in einem Kontext betrachtet werden muss, kann tatsächlich fördernd in einem anderen sein. Dies ist also direkt entgegengesetzt zu der Vorstellung vom genetischen Determinismus, der Idee, dass die Gene das Schicksal definieren, fügte Bousman hinzu.

Die Wissenschaftler erforschen nun Wege, um Menschen zu identifizieren, die hochsensitiv auf Lebenserfahrungen reagieren, indem sie mehrere Gene zur gleichen Zeit untersuchen.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: University of Melbourne, British Journal of Psychiatry Open; Sept. 2015

44 Gen-Varianten entdeckt, die für klinische D. anfälliger machen sollen

26.04.2018 Ein internationales Forschungsprojekt hat nach ihren Angaben 44 genetische Varianten identifiziert, die Risikofaktoren für die klinische Depression darstellen sollen – 30 davon seien neu entdeckt worden.

Die im Fachblatt Nature Genetics veröffentlichte Forschungsarbeit stellt fest, dass die genetische Grundlage für schwere Depressionen mit anderen psychischen Störungen wie Schizophrenie geteilt wird, und dass alle Menschen mindestens einige der 44 Risiko-Gene tragen, die in der Studie identifiziert wurden, schreiben die Forscher um Naomi R. Wray von der Universität Queensland.

Nach den Forschern sind die Beiträge einzelner Gene zur Depressionsanfälligkeit nur sehr gering.

Eine beträchtliche Anzahl der in der Studie identifizierten Gen-Varianten steht in direktem Zusammenhang mit den Zielen aktueller Antidepressiva. Die Analyse der Daten deutet auch darauf hin, dass ein höherer BMI mit einem erhöhten Risiko einer schweren Depression verbunden ist.

Frühere Studien konnten nicht mehr als eine Handvoll Genvarianten im Zusammenhang mit depressiven Störungen identifizieren, schreiben die Wissenschaftler. Durch die Kombination von sieben verschiedenen Datensätzen analysierte das Forscherteam Daten von mehr als 135.458 Menschen mit schweren depressiven Erkrankungen und mehr als 344.901 Kontrollen.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Nature Genetics – DOI: 10.1038/s41588-018-0090-3

Depressive Männer und Frauen zeigen entgegengesetzte genetische Veränderungen

04.06.2018 Männer und Frauen mit schweren depressiven Störungen zeigen entgegengesetzte Veränderungen in der Expression der gleichen Gene laut einer im Fachblatt Biological Psychiatry veröffentlichten Studie.

Gene
Bild: Gerd Altmann (pixabay)

Die Ergebnisse weisen auf eine ausgeprägte Pathologie hin und legen nahe, dass Männer und Frauen verschiedene Behandlungsformen bei Depressionen benötigen.

Die Studie kombinierte acht veröffentlichte Datensätze (vier von Männern und vier von Frauen) in einer Meta-Analyse.

Genexpression

Marianne L. Seney vom Fachbereich Psychiatrie der Universität Pittsburgh und Kollegen analysierten die Werte der Genexpression (die angeben, wie viel Proteine ein Gen produziert) im postmortalen Hirngewebe von 50 Menschen mit klinischer Depression (26 Männer und 24 Frauen) und der gleichen Anzahl von nicht-depressiven Männern und Frauen zum Vergleich.

Die meisten Gene, die die Expression verändert hatten, wurden nur bei Männern oder nur bei Frauen verändert. Allerdings wurden Gene, die sowohl bei Männern als auch bei Frauen verändert wurden, in entgegengesetzte Richtungen verändert.

Erhöhte Genexpression bei Frauen bezüglich Synapsenfunktion

Frauen zeigten eine erhöhte Expression von Genen, die die Synapsenfunktion beeinflussen, während diese Expression der gleichen Gene bei Männern verringert war.

Erhöhte Genexpression bei Männern bezüglich Immunfunktion

Frauen zeigen Abnahmen bei den Genen, die die Immunfunktion beeinflussten, während die Expression dieser Gene bei Männern erhöht war.

Darüber hinaus wendeten die Forscher ihre Methoden auf Daten aus einer anderen Gruppe von Probanden an und replizierten die gegensätzlichen Veränderungen.

Gehirnregionen

Die Analyse umfasste drei verschiedene Hirnregionen, die die Stimmung regulieren (den vorderen cingulären Cortex, den dorsolateralen präfrontalen Cortex und die Amygdala) und die bei klinischer Depression gestört sind.

Die gegenteiligen Veränderungen in der Genexpression waren spezifisch für die verschiedenen Hirnregionen. Wenn also bei Frauen die Expression eines bestimmten Gens in einer Region erhöht und in einer anderen verringert war, zeigten die Männer genau das Gegenteil.

Geschlechtsspezifische Pathologie der Erkrankung

Da in der Studie postmortales Hirngewebe verwendet wurde, konnte die Wirkung der entgegengesetzten molekularen Signaturen auf die unterschiedliche Depressionswirkung bei Männern und Frauen nicht untersucht werden. Aber die Ergebnisse unterstützen die geschlechtsspezifische Pathologie der Erkrankung.

Diese genetischen Befunde haben erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung potenzieller neuer Behandlungen und legen nahe, dass diese Behandlungen getrennt für Männer und Frauen entwickelt werden sollten, sagten die Wissenschaftler.

Zum Beispiel sollten neue Behandlungen, die auf die geschlechtsspezifische Pathologie bei klinischen depressiven Störungen abzielen, die Immunfunktion bei Männern unterdrücken oder ihre Funktion bei Frauen verstärken.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Biological Psychiatry (2018). DOI: 10.1016/j.biopsych.2018.01.017

Studie konnte Depressionsgen- bzw. Kandidatengenhypothese widerlegen

03.04.2019 Eine neue in American Journal of Psychiatry publizierte Studie der Universität Colorado Boulder, die genetische Daten und Umfragedaten von 620.000 Personen auswertete, ergab, dass die 18 am besten untersuchten Kandidatengene für Depression eigentlich nicht mehr mit ihr verknüpft sind als zufällig ausgewählte Gene.

Kandidatengenhypothese: Falsch oder falsch-positive Studien

Die bisherigen Studien waren falsch- oder „falsch-positiv“ – und die wissenschaftliche Gemeinschaft sollte die sogenannte „Kandidatengenhypothese“ aufgeben, schließen die Forscher.

Die Forschungsarbeit bestätigt damit, dass die Bemühungen, ein einzelnes Gen oder eine Handvoll Gene zu finden, die Depressionen bestimmen, zum Scheitern verurteilt sind, sagt Hauptautor Richard Border vom Institute for Behavioral Genetics.

Koautor Matthew Keller vom Fachbereich für Psychologie und Neurowissenschaften fügt hinzu, dass Depressionen jedoch weiterhin (zum Teil) als vererbbar gelten können. Doch depressive Störungen werden von sehr vielen Varianten beeinflusst, und jede einzelne davon hat nur eine winzige Wirkung.

SLC6A4-Gen

Die Autoren untersuchten 18 Gene, die in depressionsfokussierten Studien mindestens zehnmal aufgetreten sind. Unter ihnen befindet sich ein Gen namens SLC6A4, das am Transport des neurochemischen Serotonins beteiligt zu sein scheint.

BDNF- und Dopamin-verknüpfte Gene

Die Forscher untersuchten auch Gene, die an der Produktion von brain-derived neurotrophic factor (BDNF: „Vom Gehirn stammender neurotropher Faktor“), einem Protein, das an der Nervenbildung beteiligt ist, und dem Neurotransmitter Dopamin beteiligt sind.

Anhand von genetischen Daten und Umfragedaten erforschten sie, ob eines der Gene oder Genvarianten entweder allein oder in Kombination mit einem Umweltfaktor wie Kindheitstrauma oder sozioökonomischer Vielfalt mit Depression verbunden ist.

Sie fanden heraus, dass diese Kandidatengene nicht mehr mit Depressionen zu tun haben als jedes beliebige Gen „da draußen“, sagte Keller.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: American Journal of Psychiatry – DOI: 10.1176/appi.ajp.2018.18070881

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