Definition
Neurotizismus ist ein grundlegendes Persönlichkeitsmerkmal der Big Five in der Psychologie, gekennzeichnet durch Angst, Stimmungsschwankungen, Sorgen, Neid, Enttäuschung, Eifersucht und Einsamkeit. Personen, die einen hohen Neurotizismuswert haben, erleben häufiger als der Durchschnitt Gefühle wie Angst, Wut, Neid, Schuld und depressive Stimmung.
Sie reagieren verstärkt auf Stressoren, stufen gewöhnliche Situationen eher als bedrohlich ein und interpretieren kleinere Frustrationen eher als sehr schwierig ein. Sie sind oft eher gehemmt und schüchtern, und sie haben zuweilen Schwierigkeiten, Impulse zu kontrollieren und Befriedigungen durch Belohnungen aufzuschieben.
Neurotizismus ist ein prospektiver Risikofaktor für die meisten der „häufigsten psychischen Störungen“ wie Depressionen, Phobien, Panikstörung, andere Angststörungen und Drogenabhängigkeit – Symptome, die traditionell als Neurosen bezeichnet wurden.
- Definition
- Geld, Glück und Neurotizismus
- Der gesunde Neurotiker? Gewissenhaft zu sein, kann helfen
- Kreativ und neurotisch – Nachdenken und Grübeln sind Motor
- Risikofaktor für Angst- und depressive Störungen
- Weitere News-/Forschungsartikel
Mehr (Geld) heißt nicht mehr Glück – besonders wenn man neurotisch ist
Neue Forschungsergebnisse der Universität Warwick sagen: mehr Geld zu bekommen, macht Sie nicht glücklicher, besonders wenn Sie neurotisch sind.
Persönlichkeitseigenschaften und Lebenszufriedenheit
In Studie untersuchte der Wirtschaftswissenschaftler Dr. Eugenio Proto vom Centre for Competitive Advantage in the Global Economy (CAGE) an der Universität von Warwick, wie Persönlichkeitseigenschaften die Art beeinflussen können, wie wir uns über unser Einkommen in Bezug auf unsere Lebenszufriedenheit fühlen.
Er fand heraus, dass neurotische Menschen eine Gehaltserhöhung oder eine Einkommenserhöhung als Verlust oder schlecht betrachten können, wenn es nicht ebenso viel ist, wie sie erwartet haben.
Neurotizismus ist eine fundamentale Persönlichkeitseigenschaft in der Psychologie und bezieht sich auf die Tendenz, negative Gefühlslagen stärker zu erleben. Personen mit hohem Neurotizismus haben eine höhere Empfänglichkeit, verärgert zu sein, für Feindseligkeit oder Depression.
Dr. Proto, der das Papier mit Aldo Rustichini von der Universität von Minnesota zusammen verfasst hat, sagt, dass Menschen, die ein hohes Gehalt bekämen und stark neurotizistisch wären, ein Einfrieren des Lohnes mit höherer Wahrscheinlichkeit als Ausfall bzw. Verlust betrachten würden.
Er sagte: „Jemand, der ausgeprägt neurotisch ist, betrachtet eine Einkommenserhöhung als Maß für Erfolg. Wenn sie auf einer niedrigeren Einkommensstufe stehen, erfüllt sie eine Lohnerhöhung mit Zufriedenheit, weil sie das als Erfolg betrachten.
Jedoch, wenn sie schon auf einem höheren Einkommensniveau stehen, können sie nicht denken, dass die Lohnerhöhung ebenso viel ist wie sie erwarteten. Also betrachten sie dies als Verlust und es senkt ihre Lebenszufriedenheit“.
Dr. Proto, der die Forschungsergebnisse auf den nächsten ESRC Research Methods Festival zeigen will, verwendete Daten der British Household Panel Survey und des German Socioeconomic Panel.
Er fügte hinzu: „Diese Ergebnisse sagen, dass wir Geld eher als ein Instrument sehen, das unsere Erfolge oder Misserfolge misst, anstatt als ein Mittel zu betrachten, mehr Komfort zu erreichen.“
Quelle: University of Warwick. Juni 2012
Der gesunde Neurotiker? Gewissenhaft zu sein, kann helfen
Wenn man sowohl neurotisch als auch gewissenhaft ist, scheint dies gut für die Gesundheit zu sein. Das ist der Befund von Forschern der Universität von Rochester Medical, Medical Center. Wie beeinflussen psychosoziale Faktoren, wie die Persönlichkeitseigenschaften, die Gesundheit.
Persönlichkeitseigenschaften und Krankheiten
Eine Studie sagt, dass Menschen mit beiden Persönlichkeitseigenschaften niedrige Level an Entzündungen haben.
Gewissenhaftigkeit kann man umschreiben mit: organisiert, verantwortlich und fleißig sein.
Neurotizismus wird normalerweise dadurch charakterisiert, dass die Person launisch, nervös und ein Pessimist ist, und es ist mit Feindseligkeit, Depression und übermäßigen Trinken und Rauchen verbunden.
Weniger Interleukin 6 bei Neurotizismus und Gewissenhaftigkeit
Interleukin-6
Aber diese Studie mit über 1.000 Teilnehmern fand heraus, dass jene mit gemäßigten bis hohen Niveaus von sowohl Neurotizismus als auch Gewissenhaftigkeit dazu tendierten, geringere Mengen des Eiweißmoleküls Interleukin 6 (IL-6) zu haben.
Hohe Level von IL-6 zeigen die Gegenwart von Entzündungen an, die mit chronischen Krankheiten wie: Herzkrankheit, Schlaganfall, Asthma, Arthritis, Diabetes und einigen Krebsarten, verbunden sind.
Weniger Krankheiten
Diese neurotischen, aber dennoch gewissenhaften, Personen hatten auch niedrigere Body-Mass-Index-Punktzahlen (eine Maßzahl für das Körperfett), und weniger diagnostizierte chronische Krankheiten, laut der Studie, die in Brain, Behavior, and Immunity erschien.
„Diese Personen wiegen wahrscheinlicher die Folgen ihres Tuns ab und deshalb hält ihre Gewissenhaftigkeit, verbunden mit ihrem Neurotizismus, sie von riskanten Verhalten ab“, sagte Autor Nicholas Turiano, Forscher des Psychiatrie-Fachbereichs in einer Universitätspressemitteilung.
Es ist wahrscheinlich, dass die Kombination von Neurotizismus und Gewissenhaftigkeit auch die Leute zwingt, eine Behandlung aufzusuchen, wenn sie Gesundheitsprobleme haben, fügte er hinzu.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Brain, Behavior, and Immunity, Nov. 2012
Kreativ und neurotisch – Nachdenken, Grübeln sind Motor für Neurotizismus
Die positive Seite des Grübelns: größere Einsicht und Kreativität?
12.10.2015 Forscher vom King’s College London sagen, dass neurotischere Menschen eher eine hyperaktive Imaginationsfähigkeit bzw. Fantasie haben, die Platz für kreative, problemlösende Fähigkeiten schafft.
Bild: Gerd Altmann
Zwei Seiten einer Medaille
In der Zeitschrift Trends in Cognitive Sciences präsentieren die Psychologen eine neue Theorie, die erklären kann, warum neurotisches Unglücksein und Kreativität Hand in Hand gehen. Die Autoren argumentieren, dass der Teil des Gehirns, der für die selbstgenerienden Gedanken verantwortlich ist, auch hochaktiv bei Neurotizismus ist, wodurch sowohl Positives (z.B. Kreativität) als auch Negatives (z.B. sich elend fühlen) hervorgerufen werden kann.
Laut der Studie scheinen neurotische Menschen wegen der Aktivität in den frontalen Bereichen des Gehirns sich viele beunruhigende, sich sorgende Gedanken zu machen. Neurotiker tendieren auch eher dazu, in Panik zu geraten. Doch die stärkere Ausprägung, sich nicht existente Bedrohungen vorzustellen, macht neurotische Personen auch einsichtiger und kreativer.
Selbstgenerierende Gedanken und Panik: integrierter Bedrohungsgenerator
Wenn die selbsterzeugten Gedanken (z.B. Grübeln, Nachdenken) durch den hohen Grad der spontanen Aktivität in den Teilen des medialen präfrontalen Kortex (welche die bewussten Wahrnehmungen von Bedrohungen kontrollieren) stark gewichtet sind, und gibt es auch noch eine Tendenz, früher in Panik zu geraten als durchschnittliche Menschen, aufgrund einer besonders hohen Reaktivität in den basolateralen Kernen der Amygdala, dann bedeutet das, dass man intensive negative Emotionen erleben kann, auch wenn keine Gefahr vorhanden ist, sagt Studienleiter Adam Perkins.
„Dies kann aus bestimmten neuronalen Gründen bedeuten: Menschen mit hohen Werten auf der Neurotizismus-Skala haben eine sehr aktive Imagination, die als integrierter Bedrohungsgenerator wirkt.“
Depression
Die psychiatrische Relevanz dieser Theorie wurde vom Psychiater und Koautor Danilo Arnone betont, der argumentierte, dass dieser neue kognitive Ansatz die grüblerischen Denkmuster in der Depression erklären kann. Und er passt zu der bereits definierten Rolle des subgenual präfrontalen Kortex in der Ätiologie (Ursache der Krankheitsentstehung) der Dysregulation der Stimmung.
Das Positive des Neurotizismus
Die Grübel-Hypothese erklärt auch das Positive des Neurotizismus. Die Kreativität von Isaac Newton und anderen Neurotikern kann nur das Ergebnis ihrer Tendenz sein, Probleme weit länger als durchschnittliche Menschen zu durchdenken.
„Fröhliche, unbekümmerte Menschen brüten per Definition nicht über Probleme nach und befinden sich im Nachteil gegenüber einer neurotischeren Person, wenn es um das Lösen von Problemen geht“, sagt Perkins.
„Wir haben einen nützlichen mentalen Check für unsere Theorie: Offensichtlich haben viele Genies eine grüblerische, unglückliche Tendenz, was andeutet, dass sie ziemlich hoch auf dem Neurotizismus-Spektrum punkten.
Denken Sie z.B. an die Lebensgeschichten von Isaac Newton, Charles Darwin, Vincent van Gogh, Kurt Cobain usw. Vielleicht wurde die Verbindung zwischen Kreativität und Neurotizismus besonders prägnant von John Lennon zusammengefasst; er sagte: ‚Genius is pain‘ (‚Genie ist Schmerz‘).
© PSYLEX.de – Quellenangabe: King’s College London, Trends in Cognitive Sciences; Okt. 2015
Risikofaktor für Angst- und depressive Störungen
30.01.2016 Eine neue in der Zeitschrift Clinical Psychological Science veröffentlichte Studie konnte zum ersten Mal zeigen, dass junge Menschen mit hohem Neurotizismuswert mit größerer Wahrscheinlichkeit sowohl Angst– als auch depressive Störungen entwickeln.
Bild: George Hodan
Frühere Forschungsstudien haben bereits zeigen können, dass Neurotizismus oft mit Drogenmissbrauch, Stimmungs- und Angststörungen einhergeht, aber es war nicht untersucht worden, wie stark die Verbindungen sind, sagte Studienleiter Richard Zinbarg, Professor für Psychologie an der Northwestern University.
Effiziente Prävention
In der Studie waren 547 Teilnehmer von verschiedenen Schulen rekrutiert worden. Die Studienergebnisse, sagte Zinbarg, weisen den Weg zu einem relativ kostengünstigen und breit angelegten Präventionsprogramm.
Den Schülern kann einfach ein Neurotizismus-Fragebogen gegeben werden – entweder in Papierform oder online – der ihren Stand bei dieser Persönlichkeitseigenschaft fesstellt, sagte er.
„Wir können die Kinder identifizieren, auf die wir uns konzentrieren müssen – das ist die erste Auswirkung“, sagte Zinbarg.
Das Ziel wäre, eine Prävention durch eine Intervention zu schaffen, die nicht nur Depression oder Angststörungen gleichzeitig verhindert, sondern auch das Risiko für beide reduzieren würde, da sie einen gemeinsamen Risikofaktor haben.
Kontroverse zur Definition
Die Befunde beleuchten auch eine theoretische Kontroverse zu Neurotizismus und dessen Definition.
„Manche – ich eingeschlossen – glauben, dass Neurotizismus ein wenig spezifischer ist“, sagte Zinbarg. Die Theoretiker in diesem Lager glauben, dass diese Persönlichkeitseigenschaft Menschen für negative Emotionen anfälliger macht – Angst, Depression, Reizbarkeit, Ärger.
Andere glauben, dass Neurotizismus die Anfälligkeit bzw. Empfänglichkeit für Emotionen im Allgemeinen erhöht – auch für positive Emotionen. Bei dieser Sichtweise wäre diese Persönlichkeitsausprägung ebenfalls ein Risikofaktor für Impulsstörungen wie pathologisches Spielen oder Drogenmissbrauch, wie auch für Störungen, die Hemmungen und Schmerzen beinhalten.
Die aktuelle Studie fand aber heraus, dass es eine stärkere Verbindung zwischen Neurotizismuswert und Angststörungen und Depression gab als mit Drogenmissbrauch.
„Die Ergebnisse der Studie weisen eher darauf hin, dass dieser Charakterzug sensitiver für bedrohliche als für emotionale Reaktivität macht“, sagte Zinbarg.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Northwestern University, Clinical Psychological Science; Jan. 2016
News aus der Forschung dazu
Die aktuellsten Nachrichten von PSYLEX zu diesem Thema finden Sie nun unter News aus der Forschung zu: Neurotizismus.
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Es gibt auch neurotische Menschen, die, wenn sie vom Alkoholismus oder Drogenkonsum genesen, d.h. nüchtern und clean sind, weniger neurotisch sind. Durch die Arbeit an den Programmen mit den 12 Schritten werden sie gewissenhafter. Was darunter jedoch leidet, ist die Kreativität. Schade. Es wäre so schön, weiterhin kreativ zu sein und trotzdem nicht zu trinken oder zu konsumieren.