Posttraumatische Hirnaktivität kann Resilienz gegenüber PTBS vorhersagen
22.09.2023 Forscher wissen seit langem, dass eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) mit einer veränderten Gehirnverarbeitung in Bereichen einhergeht, die mit der Verarbeitung und Modulation von Emotionen verbunden sind, darunter die Amygdala, die Insula und der präfrontale Kortex.
Allerdings war bisher unklar, wann die mit PTBS verbundenen Unterschiede auftreten. In dieser Arbeit werteten die Forscher Hirnscans von 104 traumatisierten Personen aus (normalerweise Überlebende eines Autounfalls), und zwar 1, 6 und 14 Monate nach dem Trauma. Durch die Untersuchung der Hirnaktivität so kurz nach dem Trauma hofften die Forscher, Vorhersagen darüber treffen zu können, wer ein höheres Risiko hat, eine chronische PTBS zu entwickeln, oder wer ihr besser widerstehen kann (Resilienz).
Liberzon sagte zu den Ergebnissen: „In dieser bisher größten prospektiven Studie mit Überlebenden eines frühen Posttraumas sagt eine stärkere Aktivierung des rechten inferioren frontalen Gyrus, einer Region, die mit kognitiver Kontrolle und emotionaler Aufarbeitung verbunden ist, eine bessere Erholung von frühen PTBS-Symptomen voraus. Diese in Biological Psychiatry: Cognitive Neuroscience and Neuroimaging veröffentlichten Ergebnisse unterstreichen die Schlüsselrolle kortikaler/kognitiver Regionen bei der Regulation von Angst und bei der Entwicklung einer PTBS.
Die Forscher stellten fest, dass sich die Gehirnaktivität der Patienten im Laufe der Zeit veränderte, was auf einen fortlaufenden, möglicherweise pathologischen Prozess hindeutet.
Liberzon fügte hinzu: Das Verständnis der Verschaltungen im Gehirn, die mit dem Fortschreiten der PTBS von einem akuten zu einem chronischen Zustand verbunden sind, ist entscheidend für das Verständnis ihrer Pathophysiologie und schließlich für die Entwicklung einer auf diesen Mechanismus gestützten Behandlung. Die Ergebnisse könnten Klinikern auch dabei helfen, Traumaüberlebende mit einem höheren Risiko für die Entwicklung einer chronischen PTBS ein Jahr nach dem traumatischen Ereignis frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
© Psylex.de – Quellenangabe: Biological Psychiatry: Cognitive Neuroscience and Neuroimaging (2023). DOI: 10.1016/j.bpsc.2023.07.002
News zu PTBS und das Gehirn
- Posttraumatische Hirnaktivität kann Resilienz gegenüber PTBS vorhersagen
- Traumaerfahrungen verändern das Gehirn – auch ohne PTBS-Symptome
- Posttraumatischer Stress hat unterschiedliche Auswirkungen auf Gehirne von Jungen und Mädchen
- Beeinflusste Gehirnregionen bei PTBS
- Weitere News- / Forschungsartikel dazu
Traumaerfahrungen verändern das Gehirn – auch ohne PTBS-Symptome
05.08.2015 Warum PTBS möglicherweise keine ‚Störung‘ oder anormal ist, sondern eine natürliche Reaktion auf anormale Erfahrungen.
Traumata können deutliche und langanhaltende Auswirkungen haben – auch bei Menschen, die keine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln laut einer in der Zeitschrift Neuroscience and Biobehavioural Reviews veröffentlichten Studie.
Veränderungen der Hirnfunktionen
Es ist bereits bekannt, dass Stress die Hirnfunktionen beeinflusst und zu PTBS führen kann, aber bislang konnten die zugrundeliegenden Gehirnvernetzungen nur schwer nachgewiesen werden.
Prof. Morten Kringelbach und Kollegen von der University of Oxford haben in einer Metaanalyse systematisch Hirnforschungsstudien bezüglich Trauma und PTBS durchsucht und teilten die gefundenen Studien in Trauma-Exposition (Personen mit Trauma aber ohne PTBS-Diagnose) und Trauma-naiv (Personen ohne Trauma), und verglichen Personen mit PTBS mit beiden Gruppen.
Die Analyse zeigte, dass es Unterschiede in der Gehirnaktivität gab bei Personen mit PTBS und denen, die ein Trauma erfahren hatten bzw. traumanaiven Teilnehmern. D.h. es gab auch Unterschiede zwischen den Traumaerfahrenen und Traumanaiven.
Basalganglien
Dies legt nahe, dass ein Trauma auch ohne Symptome eine anhaltende Wirkung auf die Hirnfunktionen haben kann.
Besonders in den Basalganglien unterschied sich die Gehirnaktivität zwischen den Personen mit PTBS und den Menschen der Trauma-Expositionsgruppe.
Die Basalganglien liegen unterhalb der Großhirnrinde und spielen eine wichtige Rolle bei motorischen, kognitiven und limbischen Funktionen.
Die Befunde zeigen: Der Übergang zur klinischen PTBS kann mit Beeinträchtigungen insbesondere in den Basalganglien verbunden werden – doch eingebunden mit Beeinträchtigungen in einem größeren Netzwerk des Gehirns.
Biomarker und Behandlung
Ausschlaggebend, um potentielle Biomarker zur Frühdiagnose und für mögliche Behandlungen von PTBS zu identifizieren, ist die Notwendigkeit des direkten Vergleichs zwischen traumaexponierten und traumanaiven Gruppen.
Professor Kringelbach sagte, dass die Befunde auf ein Spektrum traumatischer Auswirkungen auf das Gehirn weisen. D.h. Menschen, die ein Trauma erfahren haben, könnten nicht die Kriterien für eine PTBS-Diagnose erreichen, aber trotzdem ähnliche Veränderungen innerhalb des Gehirns zeigen. Dies kann sie für PTBS anfälliger machen, wenn sie ein anschließendes Trauma erfahren.
Mögliche Folgerung
Eine mögliche Folgerung aus der Forschung ist: Weil ein Trauma bei jedem zu Veränderungen im Gehirn zu führen scheint, ist PTBS vielleicht nicht anormal oder eine „Störung“, sondern eine natürliche Reaktion des Gehirns auf Ereignisse und Erfahrungen, die anormal sind, schloss der Professor.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: University of Oxford, Neuroscience and Biobehavioural Reviews; August 2015
Posttraumatischer Stress hat unterschiedliche Auswirkungen auf Gehirne von Jungen und Mädchen
14.11.2016 Eine im Fachblatt Depression and Anxiety veröffentlichte Studie der Stanford Universität hat feststellen können, dass posttraumatischer Stress die Gehirne von weiblichen und männlichen Jugendlichen unterschiedlich beeinflusst.
Strukturelle Veränderungen in der Insula
Unter Jugendlichen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) fand die Studie strukturelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern in einem Teil der Insula – eine auch unter dem Namen Inselrinde bekannte Gehirnregion, die Wahrnehmungsreize, Emotionen und Empathie bearbeitet.
Der Inselcortex hilft, Gefühle, Handlungen und mehrere andere Gehirnfunktionen zu integrieren, schreiben die Forscher Megan Klabunde, Carl F. Weems, Mira Raman und Victor G. Carrion.
Schlüsselrolle in der Entwicklung von PTBS
Die Insula scheint eine Schlüsselrolle in der Entwicklung von PTBS spielen, sagte Victor Carrion, Professor für Psychiatrie und Verhaltenswissenschaften. Der Unterschied, der sich hier zwischen den Gehirnen von Jungen und Mädchen manifestiert, die ein psychisches Trauma erfahren haben, ist wichtig, weil es helfen kann, die Unterschiede bei den Trauma-Symptomen zwischen den Geschlechtern zu erklären, sagte er.
Frühere Forschungen haben gezeigt, dass traumatisierte Mädchen mit größerer Wahrscheinlichkeit PTBS entwickeln werden als traumatisierte Jungen, aber die Wissenschaftler sind bislang nicht in der Lage gewesen, zu klären, woran es liegt.
Unterschiede in der Gehirnstruktur
Für die neue Studie untersuchten die Forscher mit Hilfe von MRT-Scans die Gehirne von 59 Heranwachsenen im Alter zwischen 9 und 17 Jahren. Laut den Forschern hatten 30 der Studienteilnehmer – 14 Mädchen und 16 Jungen – Trauma-Symptome, während 29 – die Kontrollgruppe von 15 Mädchen und 14 Jungen – keine hatten.
Die Forscher berichten, dass sie keine Unterschiede in der Gehirnstruktur zwischen Jungen und Mädchen in der Kontrollgruppe feststellen konnten.
Sulcus anterior circular
Bei den traumatisierten Jungen und Mädchen konnten sie jedoch Unterschiede in einem Teil der Insula feststellen – im sogenannten Sulcus anterior circular. Diese Gehirnregion hatte ein größeres Volumen und eine größere Fläche bei traumatisierten Jungen als bei Jungen in der Kontrollgruppe.
Außerdem waren Volumen und Fläche dieses Gebiets bei Mädchen mit einem Trauma kleiner als bei weiblichen Heranwachsenen in der Kontrollgruppe.
Beschleunigtes cortikales Altern?
„Es ist wichtig, dass Therapeuten, die mit traumatisierten Jugendlichen arbeiten, die Geschlechterunterschiede berücksichtigen“, sagte Dr. Megan Klabunde. Die Befunde legen nahe, dass Jungen und Mädchen verschiedene Trauma-Symptome zeigen und von verschiedenen Ansätzen profitieren können.
Die Insula verändert sich normalerweise während der Kindheit und Adoleszenz: mit einem kleineren Volumen der Insula bei Kindern und heranwachsenden Jugendlichen. Die Ergebnisse legen nahe, dass traumatischer Stress zu einem beschleunigten cortikalem Altern der Insula bei Mädchen, die PTBS entwickeln, beitragen können, sagte sie.
Einige Studien weisen darauf hin, dass ein hohes Ausmaß an Stress – der z.B. zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen kann – zu einer frühen Pubertät bei Mädchen beitragen kann, sagte Klabunde. Langzeitstudien werden nun benötigt, sagen die Forscher, um die Befunde besser zu verstehen.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Stanford Universität, Depression and Anxiety – DOI: 10.1002/da.22577; Nov. 2016
Gehirnregionen, die bei PTBS beeinflusst werden
29.01.2017 Forscher der Universität Boston und des VA Boston Healthcare System sind einen Schritt weiter, die spezifische Natur der mit PTBS verknüpften Gehirnveränderungen zu verstehen.
Kommunikationsstörungen zwischen Gehirnbereichen
Seit einiger Zeit weiß man, dass Menschen, die unter Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) leiden, Anomalien in Struktur und Funktion des Gehirns zeigen, aber erst seit kurzem ist klar: Unter PTBS kommt es auch zu Veränderungen in der Kommunikation zwischen Gebieten des Gehirns.
Insbesondere ist PTBS mit Kommunikationsstörungen eines Netzwerkes von Gehirnregionen verbunden worden, die an internen Formen der mentalen Aktivität beteiligt sind, wie z.B. während der Entstehung spontaner Gedanken.
Dieses Netz konnte in verschiedene Teile gegliedert werden, die sich auf verschiedene Funktionen spezialisiert haben, und Dr. Danielle R. Miller und ihre Kollegen untersuchten die Kommunikation innerhalb dieses Netzes von Gehirnbereichen ausführlicher.
Die Gehirne von 69 Kriegsveteranen mit PTBS und 44 Veteranen mit einem Trauma, aber ohne PTBS, wurden mit fMRT gescannt, um die Gehirnaktivität über den Blutfluss zu messen.
Vermeidungssymptome
Die Forscher fanden, dass bei den Veteranen mit Posttraumatischer Belastungsstörung Störungen des oben erwähnten Netzwerkes (default mode network) spezifisch die Kommunikation zwischen den am Gedächtnis beteiligten Gehirngebieten beeinflussten.
Außerdem entdeckten sie: Je weniger diese Gehirnregionen miteinander kommunizierten, desto mehr zeigten Personen mit PTBS Vermeidungssymptome, wie
- Vermeidung der mit dem Trauma zusammenhängenden Gedanken oder Gefühle,
- Vermeidung von Erinnerungen an das Trauma,
- Vermeidung Trauma-wachrufender Situationen, oder
- die Unfähigkeit bestimmte Aspekte des Traumas zurückzurufen.
Die betroffenen Gehirngebiete
Die betroffenen Gehirnregionen in dieser Studie waren:
- Die Teilnehmer mit PTBS hatten eine verringerte funktionelle Konnektivität zwischen dem posterioren cingulären Cortex (PCC) und dem Hippocampus, einem Bereich des medialen Temporallappen (MTL) Subsystems.
- Die Gruppen unterschieden sich nicht in der Konnektivität zwischen dem PCC- und dem dorsolateralen präfrontalen Cortex (dMPFC) Subsystem oder zwischen dem anterioren medialen PFC (aMPFC) und einem Bereich innerhalb eines der beiden Subsysteme.
- In der PTBS-Gruppe war die Konnektivität zwischen PCC und Hippocampus negativ mit Vermeidungs- / Betäubungssymptomen assoziiert.
- Die Untersuchung der MTL- und dMPFC-Subsysteme ergab eine verringerte Antikorrelation zwischen dem ventromedialen präfrontalen Cortex (vMPFC) Ansatzes des MTL-Subsystems und dem dorsalen anterioren cingulären Cortex in der PTBS-Gruppe.
Die im Fachblatt Biological Psychiatry: Cognitive Neuroscience and Neuroimaging veröffentlichte Studie zeigt, dass Störungen in der Kommunikation zwischen den gedächtnisbildenden Gehirnbereichen ein wichtiger Mechanismus bei der posttraumatischen Belastungsstörung sein könnte.
Obwohl diese Studie keine Behandlung beinhaltete, legt sie doch nahe, dass auf die Verbesserung dieser Kommunikation abzielende Behandlungen PTBS-Symptome lindern könnten, schloss Miller.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Boston, Biological Psychiatry: Cognitive Neuroscience and Neuroimaging – dx.doi.org/10.1016/j.bpsc.2016.12.006; Jan. 2017
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