Alkohol, Alkoholismus und das Gehirn

Forschung und News, die sich mit der Wirkung von Alkohol bzw. Alkoholismus / Alkoholabhängigkeit auf das Gehirn beschäftigen.

Der ‚Aperitif-Effekt‘

Oder warum Alkoholkonsum uns mehr essen lässt und damit zur Gewichtszunahme führen kann.

05.07.2015 Alkohol scheint die Reaktion des Gehirns auf Lebensmittelaromen zu sensibilisieren und steigert dadurch den Verzehr von Speisen laut einer neuen in der Zeitschrift Obesity veröffentlichten Studie, die die Rolle des Gehirns bei der Kontrolle der aufgenommenen Kalorienzahl nach dem Trinken von Alkohol untersuchte.

Gewichtszunahme: Nicht nur die Alkoholkalorien zählen

Die Forschungsergebnisse komplettieren das Wissen zur erhöhten Nahrungsaufnahme durch Alkoholkonsum – auch bekannt als „Aperitif-Effekt“. Aber sie zeigen, dass diese erhöhte Kalorienaufnahme nicht allein durch die bloße Aufnahme von Alkohol im Verdauungstrakt herrührt.

Das Gehirn spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation der Nahrungsaufnahme, sagt Dr. William J. A. Eiler II von der Indiana Universität. Unsere Studie fand heraus, dass das Trinken von Alkohol sowohl die Empfindlichkeit des Gehirns auf externe Nahrungsreize wie Aromen steigert, sondern auch zu einer größeren Nahrungsaufnahme führen kann.

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Bild: SplitShire

Viele alkoholische Getränke beinhalten bereits leere Kalorien und, wenn man diese Kalorien mit dem Aperitif-Effekt kombiniert, kann es zu einem Energieungleichgewicht und Gewichtszunahme führen, sagte Eiler.

Die direkte Wirkung auf das Gehirn

Die Studie mit 35 weiblichen Teilnehmerinnen (nicht-vegetarisch, Nichtraucher und mit gesundem Gewicht) untersuchte die direkten Wirkungen des Alkohols auf das Gehirn. Die Forscher umgingen das Verdauungssystem, indem sie den Frauen beim 1. Besuch intravenös Alkohol und beim 2. Besuch ein Placebo (Kochsalzlösung) vor dem Essen verabreichten.

Die Gehirnreaktionen der Teilnehmerinnen auf Aromen von Lebensmitteln und Nicht-Lebensmitteln wurden gemessen. Dazu wurde der BOLD-Kontrast (blood oxygenation level dependent – übersetzt: abhängig vom Blutsauerstoffgehalt) durch fMRT-Scans erfasst. Nach der Bildaufbereitung wurde den Teilnehmerinnen die Wahl zwischen Teigwaren mit italienischer Fleischsauce und Rindfleisch mit Nudeln gegeben.

Hypothalamus reagiert stärker auf Nahrungsgerüche

Beim 1. Besuch – als vor der Mahlzeit intravenös Alkohol verabreicht wurde – aßen die Teilnehmerinnen durchschnittlich mehr von der Mahlzeit verglichen mit dem 2. Besuch (Placebo).

Es gab jedoch individuelle Unterschiede bei einem Drittel der Teilnehmerinnen, die nach der Alkoholaufnahme weniger aßen.

Auch reagierte die für bestimmte Stoffwechselprozesse verantwortliche Gehirnregion – der Hypothalamus – stärker auf Nahrungsgerüche (im Vergleich zu den Nicht-Nahrungsaromen) nach der Alkoholinfusion.

Die Befunde legen nahe, dass der Hypothalamus deshalb eine Rolle bei der Vermittlung der Alkoholwirkung auf unsere Sensitivität auf Nahrungsreize spielt, und so zum Aperitifphänomen beiträgt.

Wir verstehen dadurch die neuronalen Wege besser, die bei der Verbindung zwischen Nahrungsaufnahme und Alkohol beteiligt sind, sagten die Forscher.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Indiana Universität, Obesity; Juni 2015

Langzeitfolgen für das Gehirn

09.01.2016 Etwas zum Nachdenken: Neue Technologien zeigen, wie übermäßiges Trinken anhaltende Schäden im Gehirn verursachen.

Mehrere Studien, in denen Gehirnscans verwendet wurden, zeigen die Schrumpfung des frontalen Cortex im Gehirn aufgrund chronischen schweren Alkoholkonsums. Im frontalen Cortex befindet sich der Sitz der motorischen Funktionen, der Persönlichkeit und des Sozialverhaltens.

Die Gehirnscans zeigen auch eine Reduktion der weißen Substanz, die zur Kommunikation zwischen den Neuronen und Gehirnregionen dient, und auch Hemmungen reguliert laut dem National Institute of Alcohol Abuse and Alcoholism der USA.

[Welche Krankheiten und weitere Folgen durch Alkohol bzw. Alkoholismus verursacht werden können, können Sie hier nachlesen.]

Verlust der Kontroll- und Entscheidungsfähigkeit

Das Ergebnis: Je mehr und je länger jemand Alkohol trinkt, desto schlechter werden seine Fähigkeiten, Entscheidungen zu treffen und seine Impulse zu kontrollieren. Das ist das Fatale: Mit zunehmer Degeneration verliert der Trinker seine Fähigkeit, etwas gegen seinen Alkoholkonsum zu unternehmen, schreiben die Wissenschaftler.

Das NIAAA bemerkt, dass die Schäden zum Teil durch Abstinenz umgekehrt werden können, aber andere Auswirkungen scheinen von Dauer zu sein.

Wieviel Alkohol darf getrunken werden?

Wieviel Alkohol ist zuviel Alkohol? Das Risiko für die Entwicklung schwerer alkoholbedingter Gesundheitsprobleme ist bei Männern gering, die nicht mehr als 14 Drinks (Schnäpse, Biere) in der Woche und 4 an einem einzelnen Tag trinken, sagt das NIAAA.

Für Frauen ist die Gefahr gering, wenn nicht mehr als 7 Drinks pro Woche und drei an einem einzelnen Tag getrunken werden.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: National Institute of Alcohol Abuse and Alcoholism; Jan. 2016

Hormon- und Neurotransmitter-Systeme im Alkoholiker-Gehirn gestört

02.05.2016 Eine in den Zeitschriften Alcohol and Alcoholism, Psychiatry Research: Neuroimaging und Alcohol veröffentlichte Studie der Universität Ostfinnland untersuchte, zu welchen neuronalen und hormonellen Störungen es in Verbindung mit Alkoholmissbrauch bzw. Alkoholismus kommt.

Typologie von Cloninger

Dazu verglichen die Forscher post-mortem Gehirngewebe von Alkoholikern und Nicht-Trinkern. Die Alkoholiker wurden in zwei Gruppen auf der Grundlage der Typologie von Cloninger eingeteilt: Typ 1 und Typ 2 Alkoholiker.

  • Alkoholiker des Typs 1 entwickeln eine Alkohol-Abhängigkeit relativ spät im Leben, und sie sind für Angst besonders anfällig.
  • Alkoholiker des Typs 2 entwickeln ihre Alkohol-Abhängigkeit in einem jungen Alter und werden durch antisoziales Verhalten und Impulsivität charakterisiert.

„Diese Unterscheidung wurde aus Gründen des Studiensettings gemacht, um das breite Spektrum von Personen zu betonen, die unter ihrem Alkoholimus leiden. Die Wirklichkeit ist natürlich viel diversifizierter, und nicht jeder Alkoholiker passt in eine dieser Kategorien“, sagte Studienautor Olli Kärkkäinen.

Dehydroepiandrosteron und die Alkoholtoleranz

Eine von allen Alkoholikern geteilte Veränderung war ein erhöhtes Niveau an Dehydroepiandrosteron im Gehirn. Dehydroepiandrosteron ist ein Steroid-Hormon, das das Zentralnervensystem beeinflusst.

Dieses erhöhte Niveau könnte die Alkoholtoleranz erklären, die sich infolge des langfristigen Missbrauchs entwickelt, und durch die Alkohol kein solch großes Vergnügen später mehr auslöst wie zuvor.

Serotonin und soziale Angst

Außerdem zeigten alle Alkoholiker ein verringertes Niveau des Serotonin-Transporters in der posterioren Insula und dem posterioren cingulären Cortex – Gehirnregionen, die mit der Wahrnehmung von Gefühlen und sozialen kognitiven Prozessen zusammenhängen.

Diese Entdeckung könnte mit der sozialen Angst bei alkoholabhängigen Personen verbunden werden.

Typ-2-Alkoholiker

Die Studie fand auch Veränderungen spezifisch zum Alkoholiker-Typus. Zum Beispiel hatten die Gehirnproben von impulsiven Typ-2-Alkoholiker ein erhöhtes AMPA-Rezeptoren-Niveau im anterioren cingulären Cortex.

AMPA-Rezeptoren spielen eine Rolle bei Lernen und Regulation (z.B. Verhaltensmuster), indem sie die Funktion zwischen den Synapsen modifizieren. Das kann mit der impulsiven Natur der Typ-2-Alkoholiker in Verbindung gebracht werden.

Typ-1-Alkoholiker

Bei Typ-1-Alkoholikern konnten Veränderungen im endocannabinoiden System festgestellt werden, das u.a. die Stressreaktionen abstimmt. Zum Beispiel war der Docosahexaenoylethanolamid-Spiegel in der Amygdala erhöht – wahrscheinlich mit der angstanfälligen Natur von Typ-1-Alkoholikern verbunden.

„Diese Ergebnisse verbessern unser Verständnis über die Veränderungen im Gehirn, die Menschen anfällig für den Alkoholismus machen, und die durch den langfristigen Missbrauch verursacht werden.
Solche Informationen sind nützlich, um neue Drogen-Therapien für die Alkoholerkrankung zu entwickeln, und um vorhandene Behandlungen an Patienten ins Visier zu nehmen, denen dies am meisten nützen wird“, sagt Kärkkäinen.

In den westlichen Ländern sind etwa 10-15 Prozent der Bevölkerung abhängig vom Alkohol.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Ostfinnland, Alcohol and Alcoholism, Psychiatry Research: Neuroimaging; Alcohol; April 2016

Auch maßvolles Trinken schädigt das Gehirn

10.06.2017 Alkoholkonsum – auch auf moderatem Niveau – ist mit einem erhöhten Risiko für unerwünschte Gehirnveränderungen und einem stärkeren Abbau der kognitiven (geistigen) Fähigkeiten verbunden laut einer aktuellen in der Fachzeitschrift British Medical Journal veröffentlichten Studie der Universität Oxford und des University College London.

Starkes Trinken ist bekannt dafür, dass es der Gehirngesundheit schadet, aber nur wenige Studien haben bislang die Auswirkungen eines moderaten Alkoholkonsums auf das Gehirn untersucht und die Ergebnisse waren widersprüchlich.

Zeigt Alkoholkonsum nur Nachteile oder auch Vorteile für das Gehirn?

Eine neue Studie untersuchte nun, ob moderater Alkoholkonsum eher eine vorteilhafte, eine schädliche oder gar keine Verbindung mit Hirnstruktur und Funktion hat.

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Bild: Concord90 (pixabay)

Die Forscher analysierten Daten über den wöchentlichen Alkoholkonsum und die kognitive Leistungsfähigkeit, die wiederholt über 30 Jahre (1985-2015) bei 550 gesunden Männern und Frauen, die an der Whitehall II Studie teilnahmen, gemessen wurden.

Die Whitehall II Studie untersuchte die Auswirkungen der sozialen und wirtschaftlichen Faktoren auf die langfristige Gesundheit von rund 10.000 britischen Erwachsenen.

Die Teilnehmer hatten ein Durchschnittsalter von 43 zu Beginn der Studie und keiner war alkoholabhängig. Es wurden Hirnfunktionstests in regelmäßigen Abständen durchgeführt und am Ende der Studie (2012-15) wurden die Teilnehmer einem MRT-Hirnscan unterzogen.

Mehrere Faktoren, die die Ergebnisse beeinflusst haben könnten (bekannt als Störfaktoren), wurden berücksichtigt, wie Alter, Geschlecht, Bildung, soziale Klasse, körperliche und soziale Aktivität, Rauchen, Schlaganfall und Krankengeschichte, schreibt Studienautorin Anya Topiwala.

Hirnschrumpfung des Hippocampus

Nach der Anpassung an diese Störfaktoren fanden die Forscher, dass ein höherer Alkoholkonsum über die 30-jährige Studienzeit mit einem erhöhten Risiko für eine Atrophie des Hippocampus verbunden war – also Hirnschäden, die Gedächtnis und räumliche Navigation beeinträchtigen, wobei keine Diagnose für Alkoholismus bei diesen Teilnehmern vorlag.

Während diejenigen, die über 30 Einheiten pro Woche konsumierten das höchste Risiko im Vergleich zu den abstinenten Teilnehmern hatten, zeigten auch Teilnehmer, die mäßig (14-21 Einheiten pro Woche) Alkohol tranken, mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Hippocampus-Atrophie im Vergleich zu den Nicht-Trinkern.

Das Risiko für eine rechtsseitige hippocampale Hirnschrumpfung war bei den moderaten Alkoholkonsumenten um durchschnittlich 340 % gegenüber alkoholabstinent lebenden Teilnehmern erhöht.

Keine schützende Wirkung durch geringen Alkoholkonsum

Es konnte keine schützende Wirkung bei den Teilnehmern festgestellt werden, die wenig tranken (bis zu 7 Einheiten pro Woche) gegenüber Abstinenz.

Ein höherer Alkoholkonsum war auch mit einer schlechteren Integrität der weißen Substanz verbunden (Corpus callosum, entscheidend für eine effiziente kognitive Funktion zwischen den Gehirnregionen) und einer stärkeren Abnahme bei der Sprachflüssigkeit (Faktor der Intelligenz: wie viele Wörter einem zu einem spezifischen Anfangsbuchstaben innerhalb einer bestimmten Zeit einfallen).

Aber es konnte keine Verbindung mit der semantischen Flüssigkeit (wie viele Wörter in einer bestimmten Kategorie in einer Minute benannt werden können) oder Wortabruf gefunden werden.

Die Autoren weisen darauf hin, dass dies eine Beobachtungsstudie ist, so dass keine festen Schlussfolgerungen über Ursache und Wirkung gezogen werden können.

Alkohol könnte einen beeinflussbaren Risikofaktor für kognitive Beeinträchtigung darstellen, aber primäre Präventionsmaßnahmen, die auf das spätere Leben gerichtet sind, könnten zu spät sein, schlussfolgern sie.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: University of Oxford, University College London, British Medical Journal – www.bmj.com/content/357/bmj.j2353; Juni 2017

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